fünf meter vor der grenze
ein almzaun, eine wiese
ein grenzstein, ö wurde d
später d wieder ö

fünf meter hinter der grenze
ein almzaun, eine wiese
ein grenzstein, i blieb i
auch später immer i

wir sind auch nicht die gleichen
geblieben, wenn du mir von kuba
erzählst, wir mit cuba libre
anstoßen, unsere freundinnen
und wir nach dem regenguss
miteinander zu abend essen
zwei, drei, vier straßen weiter
von mir, dort wohnst du, hatten
damals zwei, drei, vier häuser
von uns gewohnt, waren mit
einander aufgewachsen, hatten
miteinander abenteuer erlebt
heute trinken wir rum, essen und
langsam werden wir erwachsen

gerissen aus den banalitäten des
alltags, fahre mit dem fahrrad durch
die straßen, ein mord war geschehen
drei minuten von zuhause, heute
nacht, vor zwölf stunden in einer
stadt, die klein, kriminell nur selten
lag im bett und schlief, ein mädchen
wurde erstochen, am rande des parks
wo wir noch vorgestern saßen, bier
tranken, nebenan die telefonzellen
heute blut, zersplittertes glas und ein
mädchen erdolcht, ermordet, neunzehn
jahre alt, ein foto im netz, ein lächeln
ein nettes gesicht, ist der mörder einer
von jenen menschen, die mir begegnen
in den straßen, der mörder noch nicht
gefasst, der mörder einer von über
hundertdreißigtausend menschen in
der stadt, wieviele mörder leben
eigentlich in einer stadt, wieviele
denen man begegnet, im alltag

wieder war es so weit, wie oft zuvor
denn ich war nun der, der beurteilte
nicht verurteilte, doch mit fakten die
entscheidungen begründete, war der
machtvolle kritiker, der entscheidende
der den überblick und die details, der
den hintergrund und das gespür sein
eigen nannte, der die unzahl derer
überdachte, begutachtete, für gut
oder schlecht beachtete, der ein
urteilsvermögen testete nicht zum
ersten, sondern zum wiederholten
male, mich die anderen ins visier
nehmen ließ, wie oft zuvor schon